Beim Durchstöbern der Zeitung sprang mir kürzlich eine Nachricht ins Auge, die mich nachdenklich stimmte. Nur 5 Prozent der Führungskräfte in Deutschland, so das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), haben eine „echte“ Teilzeitvereinbarung (d. h. weniger als 30 Stunden Arbeitszeit pro Woche). Wie, so frage ich mich, passt das zu all den schönen Gedanken rund um New Work und neue Führung?
Um diese Frage zu beantworten, habe ich einen Blick zurück in meine eigene Biographie – ich habe selbst zwei Führungsrollen in Teilzeit inne gehabt – und in die aktuelle Forschungslage geworfen. Zahlreiche Studien und Leitfäden beleuchten Erfolgsfaktoren sowie Hindernisse beim Führen in Teilzeit. Zwei Aspekte, die zur Erklärung für die niedrige Verbreitung von Teilzeit beitragen, springen mir dabei besonders ins Auge:
1. Die inneren Bilder in Unternehmen sind häufig weniger modern als der Anstrich nach Außen
In vielen Unternehmen sind es in erster Linie nicht unabänderliche Fakten, die Führen in Teilzeit marginal halten, sondern ein tradiertes Rollenverständnis von Führung. Dieses äußert sich insbesondere in zwei Glaubenssätzen:
Glaubenssatz 1: Gute Führung bedeutet permanente Anwesenheit und Erreichbarkeit.
An der Realität vorbei, wie ich finde. Mir ist bisher keine Führungskraft begegnet, die permanent für ihre Kunden und Mitarbeiter greifbar war: Meetings, Gremienarbeit, Geschäftsreisen usw. – es gibt dafür viele (mehr oder weniger wertschöpfende) Gründe. Warum also nicht auch die Beschäftigung mit den eigenen Kindern, den älterwerdenden Eltern, der persönlichen Leidenschaft (auch Hobby genannt), dem Ehrenamt, der außerberuflichen Weiterbildung oder schlicht und einfach mehr Zeit mit und für sich selbst? Selbstredend verlangt Führen in Teilzeit hohe Fähigkeiten an die (Selbst-) Organisation und ein ausgeprägtes Maß an Flexibilität in der alltäglichen Ausgestaltung der Arbeitszeiten – „Aus den Augen, aus dem Sinn“, eignet sich dabei sicher nicht als dauerhaftes Motto. Moderne Kommunikationstechnologien sowie Transparenz und gute Abstimmung helfen stattdessen, alles unter einen Hut zu bringen.
Glaubenssatz 2: Gute Führung bedeutet, (im Notfall) immer selber einzuspringen.
Hinter diesem Glaubenssatz liegt die Vorstellung, dass die Führungskraft das beste Pferd im Stall zu sein hat. Kein ganz falscher Anspruch, wenn wir über Führungsqualitäten sprechen. Wenn es jedoch um die fachliche Expertise geht, ist das nicht zwangsläufig die beste Lösung. Meiner Erfahrung nach kann Führung (in Teilzeit) besonders gut gelingen, wenn Aufgaben im Team verteilt sind und bei den Mitarbeitern ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit und Selbststeuerung vorhanden ist. Voraussetzung, dass das funktioniert, sind eine klare gemeinsame Vision und Zielsetzung, gute interne Abstimmungs- und Feedbackprozesse sowie eine geteilte Definition der Fälle, die dann doch unmittelbar zur Chefsache werden. Auf Basis dieses modernen Führungsverständnis können gute Ergebnisse in einem motivierten Team erzielt werden – und das alles trotz oder wegen einer Führungskraft, die nicht immer da ist. Aber:
2. Nicht jeder will in Teilzeit führen
Es sind nicht nur die Unternehmen, die Führen in Teilzeit mit Skepsis begegnen.
Führen in Teilzeit, und das kann ich aus eigener Erfahrung sagen, kann sehr anstrengend sein. Insbesondere dann, wenn ein Quasi-Vollzeitjob in weniger Stunden gepackt wird, erfordert Teilzeit hohe Effizienz, Disziplin, erhöhten Kommunikations- und Koordinationsbedarf, nicht selten auch einen erhöhten Rechtfertigungsaufwand. Manchmal ist ein regulär stressiger Vollzeit-Führungs-Arbeitstag weniger aufreibend als die Gleichzeitigkeit von Führungsanforderungen und, sagen wir mal, Kita-Öffnungszeiten, Pubertäts-Wahn, Supermarktkasse und dementen Angehörigen zu bewältigen. Außerdem ist es in Teilzeit ungleich schwerer, all die Dinge zu tun, die über gute Arbeitsleistung hinaus dazu beitragen, sich beruflich weiterzuentwickeln. Netzwerke pflegen, Eigenmarketing betreiben, sich weiterbilden – all das kostet Zeit und die ist, wie der Name schon sagt, in Teilzeit knapp – vor allem, wenn familiäre Verpflichtungen der Grund für die Teilzeitarbeit sind. Nicht für jeden ist das ein erstrebenswertes Ziel und manch einer verzichtet daher entweder auf die Führungsrolle oder auf die Reduktion der Arbeitszeit.
Außerdem wage ich zu behaupten: nicht jede Führungskraft ist von ihrer inneren Motivstruktur her so New Work- und vereinbarkeitsorientiert wie manche aktuelle Publikation suggerieren mag. Es gibt meines Erachtens keinen Anlass zur Vermutung, dass plötzlich alle vorrangig macht- und statusorientierten Menschen aussterben. Es wird auch weiterhin Führungskräfte geben, die wenig Interesse an kollektiver Führung, einer vorrangig coachenden Rolle oder reduzierten Teilzeitgehältern haben – und in machen Unternehmenskontexten ist das vermutlich auch passend.
Wertewandel, demographische Veränderungen, digitalisierte Arbeitswelten und gesellschaftliche Rahmenbedingungen verlangen nach zunehmend diversifizierten Arbeits- und Führungs-Modellen. Führen in Teilzeit kann dabei meiner Einschätzung nach ein Baustein sein. Dazu gilt es noch einige Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Packen wir es an!
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