Der junge Kienbaum-Berater Michael Lorenz sitzt 1991 in Gummersbach im Büro und ein Kollege aus München ruft an. Er habe eine Anfrage zum Thema „Verkaufstraining“ von einem Verlag bekommen und da sei er ja im Bereich „Personalentwicklung, Beurteilung und Training“ genau an der richtigen Adresse.
Zwei Wochen später in Martinsried bei München lernen der Münchener Kollege und ich den Herrn vom Verlag kennen. Der ist von der Ausbildung her Banker und sagt von sich selber, dass er von Büchern nichts, dafür aber von Zahlen und Ertrag deutlich mehr verstehe und das sei für einen Verlag in den schwierigen Zeiten (1991!) mindestens genauso wichtig. Wir mögen uns und ich werde für ein Verkaufstraining von Buchhandelsvertretern für den Verlag engagiert.
Weitere zwei Wochen später sitze ich nachts um 1.30Uhr in Freiburg und versuche, die noch mit Letraset handgemalten Folien irgendwelcher meiner Berater-Vorgänger in eine mir sinnvoll erscheinende Reihenfolge zu bekommen.
Übernächtigt und gespannt nimmt mich der Verleger in Empfang und führt mich in einen riesigen Raum – bis unter die Decke voll mit Büchern. Dort stellt er mich der vor kurzem neu ernannten Buchhandelsleiterin vor (Der Verlag war vorher ein reiner Direktverlag). Danach stellte er mich dem Verlagsleiter vor und öffnete dann zwei große Flügeltüren um mir die Kandidaten vorzustellen.
Alle drei kamen – geradlinig und aufrecht – schnellen Schrittes in den Raum und bezogen Aufstellung. Dass keiner die Hacken zusammenschlug war alles. Ich wunderte mich, aber der Verlagsleiter meinte:
„Das sind ihre Auszubildenden. Die neuen Buchhandels-Vertreter des Verlages. Alle drei haben bis vor wenigen Wochen sehr erfolgreich Standorte der Nationalen Volksarmee der DDR geleitet.“
Ich dachte: „Boden tu Dich auf“.
Ein Verlag, der keine Ahnung vom Buchhandel hat;
engagiert einen Trainer, der sein erstes Verkaufstraining machen soll und gerade mal weiß, wie ein Buch aussieht;
und stellt als Kandidaten ehemalige Offiziere ein, also Menschen, die weder Ahnung vom Buchhandel, noch vom Verkaufen haben.
Na, das konnte ja heiter werden.
Wurde es auch.
Zwei Wochen später kam ein Brief vom Verlagsleiter:
Das sei das beste Verkaufstraining gewesen, das in ihrem Verlag je stattgefunden habe (den Brief habe ich sicher noch).
(Ich dachte: Mit wem um alles in der Welt haben die vorher zusammengearbeitet?)
Alle paar Jahre hörte ich über gemeinsame Bekannte oder bei anderen Verlagen von den Kollegen und war etwas verwundert, sehr zufrieden und ein bisschen stolz, dass alle drei nach wie vor für den Verlag arbeiteten.
Eins ihrer Geheimnisse war: Sie haben nicht verkauft. Sie waren zuverlässig und vertrauenswürdig. Nicht nur deshalb haben Buchhändlerinnen und -händler sie landauf, landab geliebt und ihnen vertraut.
Die Geschichte ist schon lange zu einer wichtigen Lektion in meinen Verkaufstrainings geworden:
Ahnung hilft, ist aber nicht so wichtig.
Sieh die Dinge nicht so einfältig. Das Leben ist vielfältig.
Mit Herzblut geht vieles.
Kommen Fleiß, Ausdauer und Vertrauen dazu, geht wirklich alles.
Im März 2022 erreichte mich ein Anruf, dass der letzte verbliebene Kollege seinen Ruhestand beginnen wolle.
Unfassbar – was für eine lange Zeit.
Diese mich prägende Geschichte kennen hunderte von Teilnehmenden in Vertriebstrainings.
Ich teile sie von Herzen gerne mit Ihnen.
Auf des Lebens Fülle!
Ihr
Michael Lorenz