Die Welt in Unternehmen wird aktuell vielerorts auf den Kopf gestellt. Agile Arbeitsstrukturen und die Digitalisierung sind Themen und Ziele, die zum Teil umfassende Veränderungen in Unternehmen auslösen. Dabei entsteht durchaus der Eindruck, dass das Management von der Diskussion und der dadurch vermittelten Dringlichkeit – „das muss jetzt“ – getrieben wird. Ganz sicher ist die Digitalisierung eine notwendige Weiterentwicklung und Unternehmen sollten sich mit ihrem Bedarf auseinandersetzen, um entsprechend notwendige, zukunftsorientierte Entwicklungen umsetzen zu können. Aber ein getriebenes zu schnell, ist sicher nicht der richtige Weg für einen nachhaltigen Erfolg. Denn ein Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist, ist dass auch digitalisierte Prozesse noch von Menschen gehandelt werden. Missachtet wird aber zu oft, dass der Mensch umso mehr Aufmerksamkeit braucht, je umfangreicher die Veränderung wird.
Gleiches gilt für agile und selbstgesteuerte Arbeitsstrukturen. Mit ihnen ist die Erwartung verbunden, Projekte effizienter und erfolgreicher zu gestalten. Vielfach entsteht der Eindruck, als müsste jetzt alles und jeder agil werden. Jeder, der sich mit agilen Arbeitsmethoden und selbstgesteuerten Teams auseinandersetzt, weiß, dass dies nicht so ist. Setzt man sich mit den Anforderungen des agilen, selbstgesteuerten Arbeitens auseinander, wird schnell klar, dass es dabei um komplexe Kulturveränderungen geht – und die werden von Menschen gestaltet. Berater, die viel in IT-Bereichen von Unternehmen unterwegs sind, wissen, dass die große Mehrzahl der dort tätigen Führungskräfte und Mitarbeiter nicht agil und selbstgesteuert arbeiten können. Dennoch erleben wir, dass das Management ausruft: „Wir werden agil“. Agil wird über ganze Organisationen gekippt und die Menschen versuchen, sich irgendwie zu helfen. Und so bleibt oft nur ein Label und darunter wird gearbeitet wie bisher.
Im Grunde genommen ist es nicht verwunderlich, dass sich viele Menschen mit agilem und selbstgesteuertem Arbeiten schwertun. Bedenken wir doch, aus welchen Unternehmenskulturen wir kommen, was uns geprägt hat, was wir gelernt haben. Die Mehrzahl der in Unternehmen tätigen Menschen kommt aus mehr oder weniger halachischen Unternehmenskulturen. Sie sind geprägt durch qualitätszertifizierte Prozesse und Abläufe sowie klare Vorgaben. Natürlich: Menschen, die anders gearbeitet haben und das auch immer wollten, gibt es auch. Und vielleicht fällt es dem ein oder anderen jungen Menschen leichter, sich in die neuen Konzepte einzufinden, weil er noch nicht in gleicher Weise wie etwas ältere geprägt ist. Aber es ist ein Irrglaube, zu meinen, nur weil jemand jung ist, will und kann er agil und selbstgesteuert arbeiten. Ob das so ist oder nicht, wird zum größten Teil von der Persönlichkeit eines Menschen bestimmt. Aber das ist eine andere Frage, die hier nicht im Vordergrund steht.
Aus meiner Wahrnehmung fragen Unternehmen zu wenig, wo sie mit ihrer Kultur herkommen und wo sie gerade stehen, was ihre Kultur und damit das Denken und Handeln ihrer Führungskräfte und Mitarbeitenden prägt. Erst mit dieser Reflexion kann entschieden werden, welche Veränderungsschritte der Organisation möglich sind und was dafür notwendig ist. Auch wenn wir überall vom digitalem und agilem Mindset lesen, bekommen Menschen dies nicht per Knopfdruck oder Anordnung. Es muss sich entwickeln und dafür brauchen Führungskräfte und Mitarbeitende Unterstützung und Begleitung. Kultur ist immer informell durch das Handeln und Denken der Menschen in Unternehmen geprägt und dies lässt sich ebenfalls nicht von heute auf morgen per Vorgabe oder einer neuen Niederschrift der jetzt gültigen Kultur, Werthaltung und des Denkens verordnen. Wer das glaubt, wird von der Realität und dem Scheitern der geplanten schnellen Veränderung eher unangenehm überrascht werden.
Fredric LaLoux hat in seinem Buch „Reinventing Organisations“ sehr nachvollziehbar unterschiedliche Entwicklungsstufen für Unternehmenskulturen beschrieben. Er macht auch deutlich, dass Unternehmen nicht einfach von einer Kultur zur anderen springen, oder gar eine ganze Kulturentwicklungsstufe überspringen können.
Wie kann also ein Kulturwandel für eine Organisation und damit bei Führungskräften und Mitarbeitenden gelingen?
Für uns liegt der erste logische Schritt in einer Führungs- oder Organisationskulturanalyse. Sie bildet den Ausgangspunkt. Sie macht deutlich, wo das Unternehmen steht und was es sich selbst und seinen Führungskräften und Mitarbeitenden zumuten kann.
Eine Führungskulturanalyse kann in einem Workshop, in dem folgende Kernfragen beantwortet werden, gestartet werden:
Phase 1: Klären der Ist-Situation
- Welche Werte propagieren wir heute in unseren Leitbildern?
- Wer sind prägende Personen für diese Werte-Welt?
- Wie leben sie diese Werte heute?
- Wie ist die Loyalität von Führungskräften und Mitarbeitenden zu diesen Personen?
- Woran erkennen wir im Alltag eine spürbare Wirkung der propagierten Werte?
- Welche Unterschiede gibt es zwischen den Aussagen in den Leitbildern (formale Kulturaussagen) und dem Verhalten im Alltag (informale Kultur) und was bedeuten sie für uns?
- …
Die Ist-Situation wird mit weiterführenden Fragen weiter differenziert, um alle beeinflussenden Aspekte zu erfassen.
Sollen die Analyseergebnisse wertvoll für die nächsten Schritte sein, ist hier wirkliche Offenheit und Ehrlichkeit gefordert.
Phase 2: Klären der Ziele
- Warum wollen wir unsere Werte-Welt ändern?
- Welche Notwendigkeit ergibt sich aus:
- unserer Unternehmensumwelt
- gesellschaftlichen Veränderungen
- Bedarfen und Interessen der Mitarbeitenden
- Veränderungen der Organisation und ihren Leistungen
Alle genannten Einflussfaktoren werden genau betrachtet, um herauszufinden, woraus sich der Bedarf, einen Kultur-Change voranzutreiben, ergibt. Dadurch wird die Notwendigkeit für den Change deutlich und gleichzeitig wird über eine klare Begründung auch die Motivation, den Prozess ernsthaft und nachhaltig zu gestalten, gefördert. Die Ergebnisse der Analyse beschreiben Umfang und Tiefe des tatsächlich notwendigen kulturellen Change. Das heißt, es kann auch erkannt werden, dass der Bedarf vielleicht noch nicht gegeben ist oder nur einzelne Unternehmensbereiche oder Handlungsfelder betrifft. Sie schützen sich auch vor zu weitreichenden, nicht durchdachten Veränderungen, die die Organisation und die dort tätigen Menschen vielleicht gar nicht tragen können.
- Welche Werte-Welt soll die Organisation und das Handeln der Menschen in der Organisation zukünftig prägen?
- Warum streben wir genau diese Werte-Welt an? Was versprechen wir uns davon? Was soll dadurch anders oder besser werden als heute?
- …
Auch die Zielklärung wird mit weiteren, tiefer differenzierenden Fragen konkretisiert.
Phase 3: Überprüfung, was die neue Werte-Welt konkret für die Organisation bedeutet
Über Werte zu reden und sie im Workshop an die Wand zu schreiben, ist noch ein relativ einfacher Schritt. Für einen erfolgreichen Prozess, ist die darauf aufbauende Überlegung, was die veränderten Werte bedeuten, noch wichtiger. Für das Thema Mitarbeiterführung eignen sich die 10 Kernaufgaben von Führungskräften, um zu überprüfen, wie sich die Führungskultur und Rolle im Unternehmen mit den angestrebten neuen Werten verändern wird. Zentrale Fragen sind u.a.:
- Wer trägt welche Verantwortung?
- Wer darf was für wen entscheiden?
- Was darf er nicht?
Aufgaben und Verantwortungen, die in den heutigen hierarchischen Kulturen in der Verantwortung der Führungskräfte liegen, fallen in agilen, selbstgesteuerten Kulturen nicht weg, aber sie werden nicht mehr ausschließlich den Führungskräften zugeordnet sein. Also ist zu klären, wer sie unter welchen Prämissen übernimmt, um in der neuen Kultur keine bösen Überraschungen zu erleben.
- Wie wird Führung zukünftig bei uns erfolgen? Wer übernimmt welche Aufgaben, die bisher über die Hierarchie geregelt waren:
- Ziele definieren/ableiten
- Delegieren
- Motivieren
- Entscheiden
- Ergebnisse/Erfolge kontrollieren
- Entwicklung gestalten
- Feedback und Beurteilung
- Sanktionieren
- Informationsfluss gestalten
Wenn Sie die 10 Kernführungsaufgaben anhand der in der Zukunft angestrebten Unternehmens- und Führungskultur durcharbeiten, wird schnell deutlich werden, wie sich Führung und Zusammenarbeit in Ihrer Organisation verändern werden, wenn Sie den Kultur-Change umsetzen.
Anhand der Workshop-Ergebnisse können Sie dann prüfen, ob diese Veränderungen wirklich gewollt sind und ob sie für die Organisation entsprechend ihrer Ist-Kultur überhaupt realistisch sind, und wenn ja, in welchen Schritten und mit welchen Maßnahmen sie erreicht werden kann.
Zentrale Fragen sind in dieser Phase, ob das obere Management die Veränderung mitgehen kann und will, also wirklich leben kann und will. Lippenbekenntnisse führen zu Scheinveränderungen. Vielleicht sprechen sie dann von agil und vielleicht haben sie eine „Agilität“, die durch den Projektleiter vorgegeben wird. Vielleicht haben sie dann auch selbstgesteuerte Teams, in denen jeder eine Aufgabe zugeordnet bekommen hat und deren Kontrolle durch die Führungskraft erfolgt. Genauso wird ein Management, welches an alten Reporting- und Vorgabe-Strukturen hängt, einen wirklichen kulturellen Wandel informell zu verhindern wissen.
Sowohl für das Management wie auch für Führungskräfte und Mitarbeitende muss gefragt werden, wer was durch den Change verliert und wie das kompensiert werden kann. Gerade für Führungskräfte werden die Verluste immens sein, denn selbstgesteuerte Strukturen brauchen Führung in der alten Form nicht mehr. Wie soll damit im Unternehmen umgegangen werden?
Eine Umsetzung des angestrebten Kulturwandels sollte erst begonnen werden, wenn die aufgezeigten Fragenkomplexe umfassend beantwortet sind. Erst dann wissen Sie, was für den Change notwendig ist, wie Sie wen mitnehmen können, wer was lernen muss, aber auch wie Sie gegenüber den Menschen handeln wollen, die nicht mitgehen können oder wollen.