Ein Reisebericht
Seit einiger Zeit befinde ich mich auf einer Reise. Angeregt von Begegnungen mit Menschen, die auf der Suche nach Wegen zu mehr Selbstverantwortung, einem fürsorglicheren Umgang mit sich selbst und zu mehr Bewusstheit im Alltag sind, erkunde ich unterschiedliche Philosophien und Modelle, die zu mehr Wohlbefinden im Hier und Jetzt beitragen wollen. Wahrscheinlich bin ich schon immer auf dieser Reise – doch im Gegensatz zu anderen Etappen, die eher von kognitiver Neugierde geprägt waren („Bildungsreisen“), steht mein jetziger Reiseabschnitt ganz im Zeichen der Selbsterfahrung. Oder im Sinne von Rainer Maria Rilke: ich lebe die Frage(n), die auch mich persönlich umtreiben. Und so kommt es, dass ich mich neben meinem „Alltag“ als Beraterin und Mutter unter anderem bei der Achtsamkeits-Meditation, im Taizé-Gottesdienst, auf der Yoga-Matte und im benediktinischen Kloster wiederfinde – weitere Stationen werden folgen.
Inspiriert von meinen Erlebnissen, möchte ich Sie heute zu einem Thema einladen, das mir an vielen Stellen des Weges begegnet ist: der Bedeutung von Ritualen. Sei es das Stundengebet der Mönche, der Morgengruß der Yogis, das tägliche Dankbarkeits-Tagebuch der (positiven) Psychologen oder das tägliche in Stille Sein der fernöstlich geprägten Meditation – regelmäßige Rituale verbinden die ansonsten mehr oder weniger unterschiedlichen Richtungen. Auch im virtuellen Raum finde ich nach kürzester Suche Unmengen von Empfehlungen, wie wir in unserem Alltag Rituale schaffen können, um zu mehr Achtsamkeit, Sinn, Zufriedenheit und vielem mehr zu gelangen.
Rituale waren und sind wichtiger Bestandteil aller Religionen und ziehen sich durch sämtliche Kulturen. Sie bringen Menschen in Verbindung, ordnen das Jahr, begleiten Übergange im Lebensverlauf, stiften Identität und vermitteln Sicherheit, Orientierung und Struktur. Dadurch vereinfachen sie in vielen Fällen das Zusammenleben und unterstützen Menschen in Veränderungen. Auch in emotional schwierigen Situationen geben Rituale Orientierung. Häufig sind Rituale zudem eine Möglichkeit, innezuhalten, kurz aus dem Alltagsgeschehen auszusteigen und sich des Moments und seiner selbst gewahr zu werden. Dabei geht es auch darum, mit sich selber, möglicherweise auch mit Aspekten von Spiritualität und Glauben, in Berührung zu kommen, bei sich selber anzukommen.
In unserer hoch individualisierten Multi-Options-Gesellschaft ist die Verbindlichkeit und Präsenz (kollektiver) Rituale jedoch stark zurückgegangen. Traditionelle Institutionen – Kirche, Vereine, Dorfgemeinschaften, Großfamilien – haben für viele Menschen an Bedeutung verloren und althergebrachte Bräuche wirken nur noch als bloße Kulisse, ohne ihren tieferen Sinn zu entfalten. Die Sehnsucht nach Strukturen und Gebräuchen, die uns in gefühlt immer schnelleren Zeiten tragen, bleibt jedoch für viele.
Und so setzen sich zunehmend mehr Menschen eigene Anker in ihren Alltag – sei es durch ein festes Morgenritual mit Meditation oder achtsamen Körperübungen, sei es durch regelmäßige, in Stille gehaltene Pausen, durch kleine Gebete/Mantren/Sprüche, durch den Einsatz von Gegenständen oder Bildern, die sie mit einer achtsamen Haltung in Verbindung bringen, durch fest im Tagesablauf verankerte Zeiten zur Auseinandersetzung mit unterstützenden Texten, durch das Nutzen von Apps, die sie per digitaler Achtsamkeitsglocke ins Hier und Jetzt rufen, durch Auszeiten in der Natur oder durch das abendliche Verfassen eines Dankbarkeitstagebuchs. Unabhängig von der konkreten Erscheinungsform geht es stets darum, aus dem Autopilot-Modus auszusteigen und den Augenblick bewusst zu gestalten. So verstanden gehen Rituale weit über Lifestyle und Inszenierung hinaus.
An vielen Orten finden sich Gruppen zu Aktivitäten zusammen, die dazu dienen, entsprechende Akzente zu setzen; zudem legen auch heute viele Familien Wert auf gemeinsam gestaltete Rituale und Rhythmen.
Rituale gibt es dabei längst nicht nur für private Lebensbereiche. Auch in der Arbeitswelt haben sie vielerorts ihren Platz – so arbeiten beispielsweise agile Arbeitsweisen mit Ritualen. Nichts anderes ist etwa das Daily Stand-Up Meeting aus dem Scrum. Auch dieses will durch seine Kontinuität und seinen immer gleichen Ablauf für Orientierung und Sicherheit in der VUCA-Welt sorgen und Menschen miteinander in Verbindung bringen. Rituale können also ganz modern und „weltlich“ sein; ihre große Wirkung erlangen sie durch das Wiederholen, die Routine, letztlich durch die Tradition.
Und so mögen manche Rituale ihre Kraft gerade deswegen entfalten, weil in ihnen die Kontinuität, die Verbindung über Generationen spürbar wird – vermutlich sind es außerdem auch ihre Tiefe, die für uns empfundene Sinnhaftigkeit sowie die auf allen Ebenen unsere Seins spürbare Wirksamkeit, die uns dazu veranlasst, an gewissen Ritualen festzuhalten. Damit es nicht bloß ein weiteres To Do wird, von dem unser Verstand denkt, es absolvieren zu müssen, gilt es, ein Ritual für uns selbst mit Leben zu füllen, ihm Bedeutung zu verleihen und es gut umsetzbar in den eigenen Tages- oder Lebenslauf einzubinden. So kann es als gute Gewohnheit wirksam werden. Der Weg zur guten Gewohnheit sollte dabei nach meinem Empfinden niemals mit Zwang gegangen werden, gleichwohl erfordert er gelegentlich ein (hohes) Maß an Disziplin.
Für mich heißt es derzeit beinahe jeden Morgen, mit den Worten von Pater Zacharias Heyes, OSB: „Hör auf, mit dem Wecker zu diskutieren“ – und frei ist der Weg für mein persönliches Morgenritual. Und wissen Sie was, so allmählich wird mir dieses heilig. Welches Ritual ist Ihnen heilig?
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