- Verlage im digitalen Wandel – Veränderung im Verlagswesen
- Verlage im digitalen Wandel – Veränderung im Verlagswesen
Hier geht es zum ersten Teil der Reihe Verlage im digitalen Wandel – Veränderung im Verlagswesen.
Ein Zettel an der Türe einer kleinen Buchhandlung:
Amazon will die Welt beherrschen!
Wir kennen und lieben unsere Kunden, Amazon nur ihre Daten.
Buchhändler arbeiten mit durchschnittlich 25% Spanne, Amazon will 60% von den Verlagen.
Wir bezahlen in unserem Staat Steuern und Abgaben, Amazon nicht.
Wir haben faire Arbeitsbedingungen, Amazon nicht.Wieso kauft man Bücher über Amazon?
Wir haben in Deutschland Preisbindung, d.h. ob in Buxtehude, München oder über Amazon – Neubücher kosten das Gleiche.
In 80% aller Bestellungen sind wir schneller als Jeff Bezos und unsere Kunden werden begrüßt.
Denkt nach – hier – heute – jetzt. Sonst gibt es in fünf Jahren keine Einzelhändler mehr.
Wie langweilig wird das denn???
Bei uns tauchen sofort die Bilder der kleinen Reisebuchhandlung in Notting Hill auf, Julia Roberts kommt gleich in den Laden und lässt sich von Hugh Grant einen schönen Reiseführer empfehlen.
Und ganz automatisch sind unsere Sympathien beim kleinen Underdog und gegen die große Datenkrake gerichtet.
So schön – so falsch.
Schauen wir uns die Entwicklung doch mal aus einer anderen Sicht an:
Content is King
Das Medium Buch ist in unserer Gesellschaft ein Konsumthema der Freizeit geworden und muss sich den Platz mit dem Fernseher, Netflix und Instagram teilen. Fesselnde Stoffe können ihre Leser zwar absorbieren, aber das Buch hat – abhängig von der Phantasie der Leser – nicht die extremen Reize anderer Medien.
Wie sorgt man also als Verlag dafür, dass das Kopfkino attraktiv, spannend und interessant bleibt, auch und gerade, wenn Geschichten heute anders erzählt und anders gelesen werden?
Natürlich gibt es immer wieder Stoffe, die für die Leser so interessant sind, dass sie von sich aus auch schon als Buch zum Blockbuster werden und millionenfach weit vor der späteren Verfilmung gelesen werden. (Siehe Shades of grey, Twilight oder, oder, oder)?
Wie aber findet man diese Stoffe frühzeitig und lehnt sie als Verlag – wenn sie einem schon angeboten werden – nicht einfach ignorant wiederholt ab (wie z. B. bei Harry Potter geschehen)? Wie stellt ein Verlag sicher, Werke zu produzieren, die die Leser lesen wollen und nicht Werke, die die Lektoren spannend finden und eventuell nur die Kritiker lieben?
Die wirkliche innere Akzeptanz, dass bei den kommenden Schlachten um die geringer werdende Zeit- und Aufmerksamkeitsfähigkeit der Leser nur mit zukunftsgerichteten Aktivitäten und guten Geschichten Blumentöpfe zu gewinnen sind, ist – nicht nur in dieser Branche – durchaus an manchen Stellen noch steigerbar.
Woran liegt das?
Wen die Götter vernichten wollen – dem schicken Sie 30 Jahre Erfolg oder: Die Branche muss die aktive Gestaltung von Veränderungen erst wieder lernen
Eine tolle Entwicklung, seit Gutenberg 1492 in Mainz den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden hat. Hat die Welt wirklich verändert, das Wissen den Intellektuellen und den Herrschenden aller möglichen Zeiten entrissen und zur Verbreitung von Gedanken mehr als jedes andere Medium beigetragen.
Aber – Erfolg macht möglicherweise auch bequem – oder schläfrig.
Insbesondere natürlich, wenn es – wie in unserem Land – einer ganzen Branche gestattet wird, auch noch in einem künstlichen Biotop zu leben. Buchpreisbindung ist das Zauberwort. Toll.
Damit sollte das Kulturgut Buch geschützt werden. Ist ja auch gut gelungen. Zu den Zeiten von Herrn Reclam.
Aber inzwischen muss man natürlich auch mal fragen dürfen, wieviel von den produzierten Werken denn wirklich kulturfördernd oder -tragend sind. Und – ganz ernsthaft – der Prozentsatz von Schund ist sicherlich massiv höher als der Bücher, die man qualitativ im Umfeld von Schillers „Räubern“ ansiedeln würde.
Trotzdem sind alle geschützt und ein echter Wettbewerb wie bei anderen Produkten findet nicht statt. Kann man so machen, hat aber eben neben ein paar Vor- auch ein paar Nachteile.
Und trotzdem – obwohl diese Branche wie kaum eine andere vor echtem Preiswettbewerb geschützt wird – überrollt eine Vielzahl von Veränderungen mit Tragweite die Branche seit Jahren.
Die Veränderungen sind zum Teil externer Natur und etwa dem Rückgang der Handelspartner oder dem Sterben der Innenstädte zuzuschreiben.
Ein immer stärker werdendes Amazon geht aus der Sicht der Verlage mit ruppigen Methoden vor und macht zwar – übrigens auch aus der Sicht der Verlage selbst – für sich viel richtig, sich aber in der Verlagsbranche keine Freu(n)de.
Rund 6000 Buchhandlungen gibt es in Deutschland, 2016 lag der Umsatz bei etwa 4,5 Mrd. Euro (2010 noch bei etwa 10 Mrd. Euro). Etwa die Hälfte des Umsatzes wird vor Ort gemacht. Mit weiter sinkender Tendenz.
Weniger große Kunden wie etwa große Buchhandelsketten erfordern eine immer höhere Kreativität, um als Verlag noch eine gesunde Marge übrig zu halten. Die Digitalisierung schreitet mit schnellen Schritten innerhalb der Branche voran, das bringt neben tollen Chancen („Super, alles wird messbar“) auch neue Sorgen („Wieviel e-book ist eigentlich gut und verkraftbar?“).
Es ist heute nicht mehr möglich, in einer kleinen Buchhandlung einen großen Teil der lieferbaren Bücher vorrätig zu haben.
Also – welchen Mehrwert liefert der oder die Buchhändler/in dem Kunden?
Natürlich die Person des Buchhändlers oder der Buchhändlerin selber. Die persönliche Qualität der Empfehlung, der Wegweisung durch den Blätterwald – eigentlich unverzichtbar.
Sicher sind noch ganz andere Leistungen und Mehrwerte denkbar, wenn die Kreativität durch den Wettbewerb noch mehr in Gang kommt. Ruhige Rückzugsorte mit Lesezimmer-Ambiente, Kooperationen mit Cafés oder gleich die Integration eines Coffeeshops in die Buchhandlung kann man sich noch leicht vorstellen.
Vorlese-Stunden für Senioren, Literarisches Quartett mit gemeinsamen Abendessen, Menschen zu haben, die einen als Kunden gut kennen, mit denen man sprechen kann und die einem das eigene Anliegen abnehmen, kann möglicherweise das Allerwelts-Produkt Buch wieder zu einer Kostbarkeit mit Muße und Zeit machen. Der Umsatz liegt dann sicher nicht mehr im heutigen Ausmaß. Muss er aber vielleicht auch nicht.
Ich erinnere mich an eine Bäckerei in New York: Le Pain Quotidien. Unfassbar gutes Frühstück aus organischen Backwaren, unfassbar teuer. Der Inhaber ließ das Mehl aus Belgien nach New York schaffen, weil es seiner Ansicht nach kein entsprechend gutes Mehl in den USA gab. Schön und gemütlich eingerichtet, man konnte sich schnell wohlfühlen. Ein Fels in der Brandung in der Hölle der mit ausgedroschenem Mehl pappig gebackenen Bagel auf die Hand und des Junk-Foods.
Warum soll es keinen Markt für Qualitäts-Buchhandlungen geben? Handverlesene Bücher. Keine Kerzen, kein Briefpapier, kein Tinneff.
Vielleicht wird die Regionalisierung auch dieser Branche helfen, sich anders, aber nicht unbedingt schlechter weiterzuentwickeln. Das Geld, um von der Schließung wegen Nachwuchsmangel bedrohte Buchhandlungen im Franchise-Konzept zu übernehmen, hätten einige große Händler und auch Verlage. Ob sie den Mut zu neuen Konzepten haben, wird man sehen.
Eine der Fragen, die sich die Branche stellen muss, ist, wie eigentlich die Veränderung von physisch-haptischen zu digitalen Bestell- und Vermarktungssystemen zu schaffen ist? Geht es nur noch um Spontankäufe der Bücher, die gerade ausliegen? Wenn das Buch nicht in meiner Buchhandlung verfügbar ist, und ich keine persönliche Bindung zu meinem Buchhändler habe, warum sollte der Kunde dann nicht bei Amazon bestellen und lässt es sich am nächsten Tag nach Hause liefern?
Welchen Nutzen hat der Kunde davon, im Laden und nicht über Amazon – und in ein paar Jahren wahrscheinlich sogar auch direkt beim Verlag zu kaufen.
Denn – Sie erinnern sich an das Beispiel des kleinen Winzers – Unternehmen können inzwischen auch direkt an ihren Kunden liefern. Das Internet und – um mal ein Beispiel-Portal zu nennen – Vicampo machen´s möglich.
Die Verlagsbranche ist es nur anders gewöhnt. Wie war es doch so schön – und so bequem. Die einen kümmerten sich um die Autoren und produzierten und die anderen verkauften.
Wie geht man in dieser Lage mit dem inzwischen zum Teil aus gutem Grund „dauer-heulenden“ Außendienst um?
Um das Gefühl zu haben, man ist der sich verändernden Welt nicht ganz schutzlos ausgeliefert, werden andauernd neue Systeme eingeführt, ständig wird in den Verlagen reorganisiert. Am Ende des Jahres haben immer -zig Leute eine neue Rolle oder sogar einen neuen Job, aber wer kümmert sich um eine klare Zukunfts-Richtung des Produkts?
Der ganze Umbau wird im laufenden Betrieb vollzogen. Alles on-top. Viele Führungskräfte, aber auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfinden sich im dauerhaften Veränderungs- und Anpassungsmodus. Was dürfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Führungskräften eigentlich in solch einer Situation erwarten? Und was nicht?
Und nebenbei gibt es auch noch das ganz normale Kerngeschäft.
Gute Autoren finden und binden, gute Stoffe entwickeln, guten Service bieten, Bücher erfolgreich verkaufen.
Die Frage, wie man im Wettstreit mit der Vielzahl anderer Medien neue Leser gewinnen kann, sollte die Verlage eigentlich intensiv beschäftigen.
Und auch die Frage, wie man sich frühzeitig die Leser von morgen sichert, und zwar möglichst schon, solange sie noch Kinder sind, weil sie da – hoffentlich – noch etwas Zeit haben und mit dem Medium „Buch“ noch gut in Berührung gebracht werden könnten.
Oder die Frage, wie man Leser über den Lebenszyklus nicht verliert oder zumindest aktiv zurückgewinnt, auch wenn sie oder er sich – phasenweise – einmal stärker mit anderen Medien beschäftigt.
Ebenfalls ist die Frage spannend, wie man als Branche verhindert, zu viel das vermeintlich „Sichere“ zu produzieren und dem Innovationsbedarf des Mediums „Buch“ genügend Rechnung zu tragen, so dass es auch morgen für Kunden noch attraktiv ist.
Wird es Hybrid-Formen geben?
Kann ich als Leser (oder heißt es dann „Nutzer“?) Content einmal kaufen und dann als Buch, als Hörbuch oder als Film weiterschauen, weiterhören oder weiterlesen, je nachdem, wie ich es gerade gerne hätte oder brauche?
Kann ich zukünftig ein Buch kaufen und – wenn ich gerade mal keine Zeit habe, es selbst zu lesen – es mir vorlesen lassen? Mit einer Computerstimme meiner Wahl?
Mir als Berater und Leser erscheinen diese Themen von vielen Verlagen heute sehr stark unter Produktions-, Rechteverwertungs- oder Lizensierungsgesichtspunkten und oft noch sehr wenig unter Kunden- und Lesergesichtspunkten gesehen und gedacht.
Aber wer denkt eigentlich an mich?
An mich, den zahlenden Kunden?
Merken Sie, was ich Ihnen zeigen will? Wenn ein einziges Unternehmen – wie Amazon – durch den Erfolg bei seinen Kunden aus eigener Kraft innerhalb weniger Jahre die Kraft bekommt, global eine ganze Branche völlig auf den Kopf zu stellen – vielleicht war dann doch ein wenig zu lange eine gewisse Selbstverliebtheit und an manchen Stellen auch etwas zu wenig gesunderhaltende Wettbewerbsorientierung am Werk. Ganz sicher war Rom eben auch schon sehr marode, als die Langobarden einfielen.
Natürlich beschäftigt man sich mit den oben aufgeführten Fragen, die Branche ist aber auch heute noch vielfach sehr mit sich selbst beschäftigt und beklagt auch immer noch sehr ausführlich, dass die guten Zeiten wohl nicht wiederkommen werden – sicher auch eine Art Verarbeitungsprozess von traumatischen Erfahrungen.
Aber – für die Kunden: Am Ende des Tages ist das egal.
Irgendeiner weiß das alles nicht und macht es dann einfach.
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