Am Rande eines Workshops in einem Hotel im Großraum München begegneten mir obiger Spruch und jede Menge Vogelhäuschen. Was zunächst ein Schmunzeln bei mir auslöste, verdichtete sich bald zu dem Gedanken, wie schön es doch wäre, mit dieser großzügigen Gelassenheit durchs Leben ziehen zu können. Statt immer wieder den Blick auf Nicht-Funktionierendes zu richten, wie befreiend müsste es sein, stattdessen das alte Personalentwickler-Motto „Stärken stärken“ als innere Haltung im Privaten wie im Beruflichen stärker zu leben. Und so beschloss ich (getreu meiner Top-Stärke Liebe zum Lernen), mein Wissen zum Thema Stärkenorientierung aufzupolieren und stieß auf viele interessante Impulse.
Besondere Beachtung hat das Thema Stärkenorientierung mit der Entwicklung der Positiven Psychologie erfahren, die Martin Seligman 1997/98 begründet hat. Fokus der Positiven Psychologie liegt auf den Faktoren, die Menschen erfolgreicher und erfüllter machen und dazu beitragen, ihre Talente zu fördern – Wohlbefinden und Aufblühen sind dabei zentrale Begriffe. Wissenschaftlich fundiert entstehen unter diesem Blickwinkel Modelle und Methoden, die eine gute Entwicklung von Menschen und Organisationen fördern. Die Ausrichtung an den eigenen Stärken ist dabei ein wichtiger Ansatzpunkt, sind diese doch mit den Gefühlen Inhaberschaft, Freude, Authentizität, Belebung und Schwung verbunden. Es zeigt sich, auch und besonders im Kontext der beruflichen Arbeit, dass Menschen, die nah an ihren eigenen Stärken tätig sind, häufiger Momente des „Flows“ erleben und so motivierter, engagierter und produktiver sind. Außerdem werden eine höhere Sinnhaftigkeit und Identifikation mit der eigenen Arbeit erlebt, was nicht nur gut für das Unternehmen ist, sondern auch einen wesentlichen Beitrag zum persönlichen Wohlbefindet leistet. Und so entstehen vermehrt Konzepte wie die stärkenbasierte Personalauswahl und -entwicklung (zum Beispiel die strenght-based interviews nach Linley) oder das sogenannte Job Crafting, das darauf abzielt, eine Passung zwischen den Stärken des Einzelnen, seiner Arbeit und den Erfordernissen der Organisation herzustellen – Aufgaben Menschen zuzuordnen statt top-down Stellen verwalten, ist hier das Motto. Alle Mitarbeiter – und vor allem diejenigen mit Führungsverantwortung – sind demnach gefordert, anstelle der vielerorts vorherrschenden Defizitorientierung ein Klima und Rahmenbedingungen zu schaffen, in dem Stärken gesehen und gelebt werden können – ein Anspruch, der insbesondere im Kontext agiler Arbeitsformen und Unternehmenskulturen wächst.
Gut und schön, mögen sich einige von Ihnen nun denken. Aber was tun, wenn ich nun mal besonders gut darin bin, Schwächen zu sehen? Aus eigener Erfahrung kann ich empfehlen: fangen Sie bei sich selbst an. Einen ersten Zugang zu den eigenen Stärken bietet ein von Seligman mit entwickelter kostenfreier Fragebogen unter www.charakterstaerken.org. Und, für die Mutigen unter Ihnen, holen Sie sich Feedback von Menschen, die Ihnen wohlgesonnen sind. Welche Stärken haben diese bei Ihnen wahrgenommen? Nutzen Sie diese Erkenntnisse und beobachten Sie sich eine Weile selber: Wie oft und bei welcher Gelegenheit konnten Sie Ihre Top-Stärken nutzen? Wo gibt es Möglichkeiten, ein oder zwei Ihrer Stärken auf neue Weise auszuüben? Und dann fangen Sie an, auf die anderen zu schauen. Welche Stärken beobachten Sie? Werden Sie noch mutiger und teilen Sie Ihre positiven Beobachtungen. Möglicherweise finden Sie stärkenbasiert „Tausch-Partner“ für Aufgaben, die dem jeweiligen anderen besser liegen. Und vielleicht tragen Sie so Stück für Stück zu einer Kultur bei, die ihre Energie weniger auf Fehlerfinden und Schlechtreden verwendet, sondern auf Basis ihrer Stärken positive Kräfte freisetzt, sich da, wo es wirklich nötig ist, den eigenen Schwächen und Problemzonen zu stellen und ansonsten jedem „seinen Vogel“ zuzugestehen.
Lesen Sie in unserem Booklet Erfolgreiche Führung durch Selbstführung aus der Reihe „Führungswissen punktgenau“ mehr dazu, wie Sie Ihre eigenen Stärken entdecken.